Dürfen alle alles sagen?
Impulse für einen verantwortungsvollen Umgang in der Influencer Kommunikation
15.07.2021
Wächst ein Trend aus den Kinderschuhen des Trendseins heraus und beginnt sich zu etablieren, stellen sich oft Fragen, die lange als nicht relevant erachtet wurden. Zu Zeiten, als die breite Masse dachte, Influencer beschränken sich auf gut gestylte Adoleszente, die Teenagern das Schminken beibringen, wäre wohl niemand auf die Idee gekommen, dass sich daraus ein ganzer Berufszweig für nahezu jeden Interessensbereich ergeben würde.
Warum ein Ethikkodex nötig ist
Nur was heißt es, wenn sich Videoplattformen plötzlich zu menschlichen Wikipedias entwickeln, in denen alle alles ungefiltert sagen können? Wenn Kaufentscheidungen maßgeblich von Einzelpersonen gesteuert werden, weil sie ihre Gefolgschaft glauben lassen, sie fänden ein Produkt aus eigenem Antrieb heraus überzeugend? Wenn Youtuber plötzlich die Macht haben, Parteien in Krisen zu stürzen, weil ihre Meinung von tausenden Menschen gehört und ernstgenommen wird? Wenn der Vorsitzende der Flat Earth Society versuchen kann Wahlen zu beeinflussen, indem er tausende Follower dazu aufruft, den Kandidaten zu wählen, der seiner Meinung nach am ehesten davon überzeugt werden kann, dass die Erde flach ist? Dürfen wirklich alle alles sagen?
Mit dieser Frage hat sich der Bundesverband Influencer Marketing e.V. zusammen mit der Universität Leipzig beschäftigt und ist zu dem Schluss gekommen: in dem Moment, in dem Kollaborationen mit Content Creators aus wirtschaftlichem Interesse heraus gebildet werden, sollte der inhaltlichen Freizügigkeit Grenzen gesetzt werden. Es bedarf eines Ethikkodexes, der gewisse moralische Eckpfeiler setzt.
Bei den 10 Punkten, aus denen der Kodex besteht, geht es weniger um rechtliche Rahmenbedingungen, die juristisch anfechtbar sind. Vielmehr wird ein Gerüst von Verhaltensregeln gebildet, das dafür sorgen soll, dass die Branche an sich nicht an Glaubwürdigkeit verliert und ihre wachsende Bedeutung in der Welt des Marketings weiter ausbauen kann.
Die Involvierten im Influencer Marketing
Die Akteur:innen, die im Ethikkodex angesprochen werden, setzen sich zusammen aus:
- Influencer:innen
→ gehen Kooperationen ein, um daran zu verdienen, nicht-materielle Vorteile daraus zu ziehen oder weil sie aus persönlichem Interesse für eine Sache einstehen - Organisationen
→ Auftraggeber, die ihre Produkte oder Inhalte mithilfe von Influencer:innen verkaufen bzw. ihre Reichweite vergrößern wollen - Mittler:innen
→ zwischengeschaltete Instanzen zwischen Influencer:innen und Organisationen, die von der Vermittlung der Kooperation profitieren
Indem diesen Akteuren eine Handreiche gegeben wird, die sich weniger auf die rechtliche, wohl aber auf die moralische Verantwortung ihres Tuns fokussiert, wird deren Zusammenarbeit keineswegs eingeschränkt. Vielmehr schafft man eine Entscheidungshilfe für Situationen, denen eben keine rechtliche Basis zugrunde liegt, die aber wegen ihrer ethischen Relevanz maßgeblich dazu beitragen, der Branche zu Glaubwürdigkeit zu verhelfen.
Die 10 Punkte des Ethikkodexes
1
Alle Akteur:innen handeln eigenständig.
Die Partner:innen gehen die Zusammenarbeit eigenständig ein. Das heißt nicht nur, dass sie die Entscheidung zu einer Kooperation aus freien Stücken treffen, sondern auch, dass sie innerhalb derer als gleichwertig gelten. Wenn es einer Einschränkung der Eigenständigkeit bedarf – beispielsweise in der erforderlichen Darstellung eines Produktes, Wording etc. – muss das im Voraus festgelegt werden. Ein gewisses Maß an künstlerischer Freiheit, vor allem in Bezug auf das Beibehalten des eigenen Stils, bleibt allerdings durchaus gewährt.
2
Alle Akteur:innen handeln transparent.
Eine Zusammenarbeit, von der die Partner:innen in welcher Art und Weise auch immer profitieren, wird auch als solche gekennzeichnet. Damit soll weder Schleichwerbung noch eine vorgetäuschte innere Überzeugung zur Kaufentscheidung der Follower:innen beitragen. Aber nicht nur die potenziellen Käufer:innen, auch die Akteur:innen unter sich sollen so vor möglichen Täuschungen geschützt werden. Die Absicht, die hinter der Kooperation steht, soll jedem bekannt und mögliche Konflikte entkräftet sein, bevor sie entstehen.
3
Alle Akteur:innen handeln aufrichtig.
Die transportierten Inhalte sollen den Meinungen und Ansichten aller Agierender auch tatsächlich entsprechen. Das Verhältnis zwischen Star und Fan ist ein sehr Subjektives – so mag ein Star wenig beeinflussen können, wer ihm folgt, wohl aber entscheidet der Fan, mit wem er sich am meisten identifiziert bzw. wem er nacheifert. Das geht einher mit einem hohen Maß an Vertrauen, das den Meinungsbildner:innen seitens der Follower:innen entgegengebracht wird. Dieses Vertrauen gilt es nicht zu verletzen – auch nicht durch die anderen Kooperationsparteien. Ein:e Influencer:in kann eine Marke/ein Produkt nur dann guten Gewissens repräsentieren, wenn die Botschaft dahinter auch die ist, die ihr/ihm vermittelt wurde.
4
Alle Akteur:innen handeln wahrheitsgetreu.
Kommt eine Kooperation zustande, stehen alle Beteiligten für den Wahrheitsgehalt der Inhalte ein. Das heißt nicht nur, dass Quellen und Angaben überprüft werden, sondern auch, dass (eigene) Zahlen, beispielsweise Followerzahlen, Interaktionen wie Likes etc. nicht manipuliert wurden. Zum einen soll so vermieden werden, dass sich Falschinformationen verbreiten, zum anderen sollen die Akteur:innen untereinander über mögliche Erwartungen bzw. Resultate der Zusammenarbeit im Klaren sein.
5
Alle Akteur:innen tragen Fürsorge für schutzbedürftige oder benachteiligte Personengruppen.
…alle! Das heißt nicht nur, dass minderjährige Fans bedacht werden müssen, deren Resilienz gegenüber Medien im Allgemeinen noch nicht so ausgeprägt ist, wie es bei Erwachsenen der Fall…nun ja sein sollte. Minderjährige sind oft besonders empfänglich für Werbebotschaften, aber auch für andere Inhalte, so sie von ihren Idolen transportiert werden. Aber auch Influencer:innen selbst sind nicht selten fernab der Volljährigkeit. In solchen Fällen sind Kollaborationen besonders vorsichtig, transparent und ehrlich zu gestalten, um eine eventuelle Unerfahrenheit nicht auszunutzen. Doch nicht nur junges Alter macht schützenswert, auch Minderheiten gehören geschützt. So sind Ausgrenzung und Diskriminierung jeglicher Fasson auszuschließen, die sich aufgrund von Geschlecht, Orientierung, Herkunft, Religion, körperlicher oder geistiger Verfassung und allem, was Individualität ausmacht, auftun könnten.
6
Alle Akteur:innen handeln professionell.
Was ich selber denk und tu…: die Akteur:innen handeln in Kooperationen so, wie sie erwarten, behandelt zu werden. Dazu gehört nicht nur das Einhalten von getroffenen Absprachen, sondern auch der vertrauliche Umgang mit Informationen über Vertragspartner. Darüber hinaus beinhaltet professionelles Arbeiten auch sorgfältiges Arbeiten. Werden im Rahmen der Zusammenarbeit Inhalte erstellt, werden diese gemäß geltender journalistischer Standards recherchiert und beispielsweise durch Quellenangaben gestützt.
7
Alle Akteur:innen pflegen einen wertschätzenden Umgang miteinander.
Auch wenn ein wesentlicher Teil des Influencer-Daseins darauf beruht, zu suggerieren, man ginge dem nach, was man persönlich gern tut, so erkennen doch alle Agierenden die Arbeit an, die in die Kooperation fließt. Hierzu zählt eine dem Aufwand angemessene Vergütung, die auch Sonderleistungen honoriert. Werden Interaktionen erwartet, die beispielsweise eine koordinierte Kommunikation mit den Follower:innen erfordert, wird dies als Zusatzleistung vergütet, nicht als Selbstverständlichkeit hingenommen. Im Gegenzug orientieren sich die Influencer:innen an realistischen Standards – das Posieren vor dem Burj Khalifa lässt nicht gleich in die Sphären vergoldeter Steaks vordringen.
8
Alle Akteur:innen gehen respektvoll miteinander um.
Der respektvolle Umgang der Akteur:innen untereinander sollte gang und gäbe sein. Nichtsdestotrotz mögen im Laufe der Zusammenarbeit Schwierigkeiten auftreten, die im Voraus nicht abzusehen waren. Tritt dieser Fall ein, verpflichten sich die Vertragspartner dennoch – oder gerade deswegen – zum konstruktiven Austausch und einer offenen Kommunikation. An keinem Punkt kommt es zu Diffamierungen des Gegenübers, weder intern noch gegenüber der Außenwelt.
9
Alle Akteur:innen verhalten sich loyal gegenübereinander.
Die Loyalität innerhalb der Kooperation mit Influencern soll gewährleisten, dass niemand im Rahmen der Zusammenarbeit in Verruf gerät. Alle Partner:innen müssen sich darauf verlassen können, dass die/der andere die eigene Marke nur so darstellt, wie es dem eigenen Vermarktungswunsch entspricht. Das heißt nicht, dass die eigene Meinung oder gar der Wahrheitsgehalt verfälscht werden – vielmehr sollte die Partnerschaft von beiden Seiten so gewählt werden, dass das eine das andere von vornherein bedingt. So kann die Integrität auch nach Ende der offiziellen Zusammenarbeit bestehen bleiben, sofern sich im Nachhinein keine maßgeblichen Inhalte oder Charakteristika einer Partei ändern.
10
Alle Akteur:innen handeln verantwortungsvoll.
Als Medium, das davon lebt, eine möglichst breitgefächerte Außenwirkung zu erzielen, darf das Influencer Marketing nie seine Zielgruppe aus den Augen verlieren: Menschen. Und zwar meist im recht großen Stil junge Menschen, denen die Beeinflussung von außen, zumindest deren volles Ausmaß, oft gar nicht bewusst ist. Die Akteur:innen sind sich ihrer Vorbildrolle bewusst und beschäftigen sich so eindringlich mit ihrem Themengebiet, dass sie ihren Content reinen Gewissens in der Gesellschaft verbreiten können.
Fazit
Neben offiziellen rechtlichen Regularien, die es im Medienuniversum durchaus zu befolgen gilt, gibt es im Bereich des Influencer Marketings also noch weitere, ethische Grundsatzfragen, die im Rahmen von Kooperationen auftauchen können. Mit dem Ethikkodex des Bundesverbandes Influencer Marketing e.V. und der Universität Leipzig wurde ein moralisches Gerüst gebaut, das nicht nur Gewissensfragen für die Akteur:innen untereinander klären soll, sondern auch deren Rolle gegenüber der Zielgruppe unterstreicht. Wenn es alle Kooperationsparteien schaffen, sich an dieses Regelwerk zu halten, ist nicht nur ein reibungsloses zwischenmenschliches Miteinander gegeben, die Branche gewinnt auch an Glaubwürdigkeit und kann so ihre Reichweite und ihren Einfluss noch stärker ausbauen.
Demnach beantwortet sich die Eingangsfrage, ob alle alles sagen dürfen, am besten mit dem Tweet der Polizei Mittelfranken:
Quelle: Polizei Mittelfranken (@PolizeiMFR) / Twitter
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